Eine lebensverändernde Begegnung führte mich aus Furcht in eine ungeahnte Freiheit. Dabei habe ich erfahren, dass Glaube wenig mit Religiosität zu tun hat, vielmehr mit einer wertvollen persönlichen Beziehung.
Für viele Menschen ist Glaube einfach Religion – förmliches Handeln nach vorgegebenen Regeln. Ich erlebe dies anders: Auch, wenn es Berührungspunkte gibt zwischen persönlichem Glauben und Religion, es ist definitiv nicht dasselbe und im Kern der Sache völlig unabhängig. Das eigene Erleben, meine Erfahrung will ich hier teilen.
Geburtsort und Kindheit
Auf einem abgelegenen Bauernhof am Waldrand in einem sehr kleinen Dorf wurde ich geboren. Zusammen mit sieben Geschwistern wuchs ich auf, unter einem Dach mit Grosseltern, Eltern, Onkeln und Tanten. Die ganze Sippschaft lebte in einem Grundvertrauen an einen grossen Schöpfergott , was uns Kindern natürlich nicht verborgen blieb.
Der Alltag war hart. Mit zwei Pferden und einigen Wagen wurden die Felder bebaut, geerntet, gemolken, in die Käserei gefahren. Auch wir Kinder mussten anpacken. Überfordert wurden wir dabei nicht. Die Eltern gewährten uns Freiraum, Onkel und Tanten verwöhnten uns.
An Sonntagen wurde nicht gearbeitet (ausser Versorgung der Tiere), Verwandte kamen zu Besuch und wir erlebten die schönsten Nachmittage bei Spiel und Spass. An langen Winterabenden spielten wir alle möglichen Rate-, Karten- und Brettspiele.
Die Schule wurde gefördert, unsere Interessen wurden gefördert. Wir alle konnten eine Wunschausbildung machen und den Weg in unsere Selbständigkeit einschlagen. Da die ganze Sippschaft zu einer (weltweit tätigen) Freikirche gehörte war es normal, am Sonntagmorgen in die Sonntagsschule, und später in den Gottesdienst zu gehen. Lustig fand ich das damals eher nicht, und doch bekam ich viele Biblische Grundlagen mit, die mein Leben stark prägten.
Australien
Am Tag nach meinem 21. Geburtstag startete ich das Abenteuer Australien. Damals warb Australien um Migranten und förderte die Migration mit vielen Mitteln. Die Reise dahin war mein erster Flug, mein erstes Mal weg von zuhause und eigentlich in Allem ein Neuanfang den ich voller Tatendrang und Begeisterung in Angriff nahm.
Naiv, unvorbereitet, ohne Sprachkenntnis zog ich los (zusammen mit einem Arbeitskollegen). So kam es wie Alle, ausser ich, erwartet hatten – nach der grossen Begeisterung kam das grosse schwarze Loch. Da sass ich träumerisches Landei nun, in einer riesengrossen Stadt, die einzige Verbindung zur Vergangenheit ein Arbeitskollege mit dem ich damals nicht so wirklich nah verbunden war. Selbst telefonische Verbindung nach Hause war mir damals nicht möglich.
Psychischer Absturz
Da ich kein Englisch sprach, fühlte ich mich nach wenigen Tagen so richtig isoliert, abgeschnitten, entwurzelt, ausgesetzt. Ich der kleine gross-schnäuzige Landjunge – einsam und allein in der grossen fremden Stadt.
Ein schwarzer Schleier legte sich über mich. Ich kriegte Angst, panische Angst, dunkelschwarze Angst. Mit René konnte ich darüber nicht reden, er war mir zu wenig nah. Ich kriegte Todesfurcht, Panik-Attacken. Ich hatte Angst ins Bett zu gehen, denn dort ging’s los: Oft fühlte ich, wie sich ein eiskalter Schauer über mich legte, zuerst auf die Kopfhaut und dann langsam durch den Kopf, den Körper hinunter. Ich war entsetzt und voll Panik. Ich dachte, dass ich jetzt sterben würde. Sterben – allein – weg von meiner Familie in dieser wildfremden Stadt. Ein furchtbarer Gedanke! Der Schauer war schrecklich, doch als er durch die Brust wandernd an der Herzgegend vorbei war atmete ich erleichtert auf, davongekommen – bis zum nächsten Mal.
Aus alter Gewohnheit suchte ich dieselbe Freikirche, die ich aus der Schweiz schon kannte. Die langsam gesprochenen Predigten über mir bekannte Themen halfen mir zwar Englisch zu lernen, gleichzeitig kam ich mir komischerweise dabei wie ein Lügner vor. Ich hoffte, dass mich niemand ansprechen würde weil ich dann ertappt wäre eine Predigt zu besuchen, obwohl ich nicht verstehe.
Natürlich betete ich, schrie zu Gott, bat um Vergebung, tat Busse, suchte Antworten – und litt weiter – bis zu jenem wunderbaren 12.August der mir Befreiung brachte. Die Begegnung die ich damals machte lässt mich noch heute respektvoll erschaudern:
Gibt es Engel in menschlicher Gestalt?
Am Sonntagabend (10.8.) besuchte ich den Gottesdienst. Eine gewöhnliche Predigt von einem sympathischen jungen Pfarrer. Viel verstanden hatte ich nicht, aber die Wärme in der Stimme von Don Evans tat mir gut, am Schluss wechselten wir ein paar Worte und ich fand mich plötzlich angenommen und nicht mehr schuldig Verstehen geheuchelt zu haben. Danach marschierte ich einigermassen glücklich und entspannt nach Hause. Im Stillen betete ich um Antworten und um Befreiung von meiner panischen Todesangst: „Gott, was muss ich tun um gerettet zu werden? Wenn ich sterbe, was geschieht dann mit mir?“ So lief ich bis vor unsere Haustüre.
Dort angekommen kehrte ich um und lief zurück. Weshalb – ich weiss es nicht, damals nicht und heute nicht. Aber ich lief ein Stück zurück – und bog rechts ab, ins Vergnügungsviertel King Cross. Ich lief ganz in mich gekehrt, immer in Gedanken versunken und nach dem Sinn des Lebens suchend – und nach dem Grund meiner bodenlosen Angst. Mit der ernüchternden Erkenntnis, dass mich mein bisheriger Glaube nicht wirklich trägt.
In diesem Zustand also wandelte ich durch die Strasse. Dort, ein Bücherstand auf dem Trottoir. Ich ging darauf zu und blätterte abwesend in einem Buch. Der Mann hinter dem Tisch sprach mich an. Ich aber hatte keine Lust auf ein Gespräch und so antwortete ich ihm kalt, abweisend und auf Schweizerdeutsch mit einem knappem „verstoh ke Wort“. Was dann geschah lässt mich noch heute erstarren: Der Mann schaute mir ruhig und liebevoll in die Augen, zeigte mit seinem Zeigefinger auf mich und sagte, jedes Wort markant betonend auf Deutsch: „Ich weiss, dass der Herr dich heute hierhergeführt hat“. Ich erstarrte, meine Nackenhaare stellten sich auf und ich sah mit meinem inneren Auge, wie ich mich vor einer halben Stunde umgedreht hatte und ziellos, und dennoch direkt auf diesen Buchstand zugelaufen war, und ich spürte tief in mir: der Mann hat recht.
Wir führten ein Gespräch, ich öffnete mich, er erklärte Glaubensgrundlagen und schenkte mir schliesslich ein Buch von Billy Graham und ein kleines Losungsheftchen mit Bibelvers für jeden Tag. Das Büchlein steckte ich in meine Hosentasche. Das Gespräch selbst war nett, brachte mich jedoch letztlich nicht weiter. Immerhin war mein innerer Druck weg und ich ging mit neuer Leichtigkeit nach Hause. Den Mann und den Bücherstand hatte ich weder vorher noch nachher je wieder gesehen.
Entscheidende Begegnung
Mein entscheidender Tag kam zwei Tag später, am Dienstag, 12.Aug. 69. Wie jeden Tag lief ich zu Fuss den halbstündigen Weg zum Arbeitsplatz. Wie üblich flehte und betete ich dabei zu Gott um Antworten auf meine Lebensfrage: „was ist das Ziel meines Lebens? Was wenn ich jetzt sterbe? Was geschieht mit mir? Würde mich Gott annehmen in meinem Zustand? Während ich so betend lief geschah etwas Seltsames: Ohne ersichtlichen Grund erfasste mich Gottes Nähe. Ein Bibelvers den ich vom Unterricht her kannte tauchte in meinen Gedanken auf „Suchet, so werdet ihr finden, bittet so wird euch gegeben“. Den Vers hatte ich auswendig gekannt, ich hatte oft darüber nachgedacht doch jetzt war es anders, nicht ich rief den Vers an, sondern der Vers sprach zu mir und lud mich ein. Der Eindruck war so real, als würde Gott neben mir herlaufen und würde zu mir sagen: „Hey, was willst du denn wissen? Frag doch einfach!“. Bei dieser Aufforderung überfuhr mich eine unbeschreibliche Freude und ich wusste ohne jeden Zweifel, jetzt ist der Moment. Jetzt wird mein Fragen beantwortet und meine Zweifel beendet.
So fragte ich denn diesen so real neben mir gehenden Gott: „Bin ich bei Dir angenommen? Und was passiert mit mir wenn ich jetzt sterbe?“. Während ich dies (in Gedanken) aussprach griff meine Hand in die Hosentasche und öffnete das Büchlein, das ich zwei Tage vorher erhalten hatte und ich las den Vers zum aktuellen Tag (12.8.69). Da stand in grossen Lettern:
„Fürchte dich nicht!
Ich habe dich erlöst,
Ich habe dich bei deinem Namen gerufen
Du bist mein“
Ich stand da, lief (oder flog), gebadet im Glück. Kein Funke Zweifel in mir, alles real spürbar, pure Freude, Dankbarkeit, Sicherheit, Festigkeit. Gott hatte mir meine ganz konkrete Lebensfrage ganz real beantwortet. Und alle konnten die Veränderung an mir sehen und erkennen. (Der Satz ist übrigens ein Bibelvers aus Jesaja 43. Er wird dort eingeleitet mit „Jetzt sagt der Herr, der dich erschaffen hat“).
Ja und danach? Ich hatte mal gehört von Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht hatten, dass ihr Erleben nicht nachgeprüft, oder bewiesen werden kann, dass jedoch bei diesen Menschen eine nachhaltige Veränderung beobachtet werden kann. Ich selber hatte keine Nahtoderfahrung, aber eine ganz real gespürte Gotteserfahrung mit der Beantwortung meiner Lebensfrage.
Und das hat sich bei mir nachhaltig verändert: Meine Todesangst ging und blieb weg. Mein Leben erhielt eine Festigkeit, eine Sicherheit und inneren Halt. Mein Glaube wurde zur festen Realität und zur Grundlage meines Lebens.
Ein neues Leben
Vieles änderte sich, ich wurde fröhlich, war interessiert an Gott und der Bibel. Ohne irgendwelchen Druck las ich mich mit grosser Freude durch die Bibel. Es machte Spass, darin zu lesen, auf Gott zu Hören und mit ihm zu reden. Immer mal wieder fand ich Antworten auf konkrete Lebensfragen. Ich fand Freunde, schloss mich dem «International Club» (einer kirchlichen Jugendgruppe) an, fand Anschluss bei einer Familie, fand viele gute Freunde und erlebte eine unglaublich schöne und unbeschwerte Zeit. Ich war definitiv angekommen, ein echter Sydneysider mit vielen stets wunderbaren Freunden. Eine unfassbare Veränderung!
Angenommen?
Wurde ich dadurch ein besserer Mensch? Nein, hätte ich das sollen? Nein. Gibt’s weiterhin Situationsängste? Ja. Gibt es Fragen – und Zweifel? Ja, und Ja. Bin ich nun religiös? In Deinem Verständnis vielleicht schon, in meinem Nein. Religion, auch die Christliche ist mir unwichtig (was nicht heisst, dass ich deren Sinn nicht achte), Traditionen und Riten sind mir nicht wichtig. Wichtig ist mir die Beziehung, die Freundschaft zu Gott und nicht Form oder Dogmen und schon gar nicht Gesetzlichkeit (ähnlich mit Liebe und Ehe). Zwar besuche ich treu die Gottesdienste meiner Heimatgemeinde (der alten Freikirche), habe aber keine Berührungsängste mit andern Frei- und Landeskirchen.
Mit der ref. Landeskirche feiern wir regelmässig gemeinsame Gottesdienste. Im Rahmen meines sozialen Engagements (Wegbegleitung) bin ich mit dem Katholischen Pfarrer unterwegs, und besuche gelegentlich seine Gottesdienste – die mir in Vielem fremd, aber nicht befremdlich sind. Auf Reisen in allen Kontinenten besuche ich Gottesdienste beliebiger Couleur, kleine Gemeinden und auch mal eine Mega-Kirche. Ich finde die kulturellen Unterschiede, aber auch die Übereinstimmung im Kern jedes Mal beeindruckend und bereichernd.
Veränderung
Nun ist es bald 50 Jahre her seit dieser lebensverändernden Begegnung damals in Sydney. Seither hatte ich Hochs und Tiefs, auch Ängste und Zweifel. Dennoch, in all den Jahren hat mich ein grundsätzlicher Glaube – das damals erhaltene persönliche Versprechen – durchgetragen, mir Sicherheit gegeben, mich verwurzelt in dieser tiefen Beziehung zu einem grossen Gott der weiss wo’s lang geht, der Allem seinen Sinn gegeben hat. Der mir persönlich gesagt hat „Fürchte Dich nicht, ich habe Dich erlöst, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein„.
Letzten Sonntag feierte meine katholische Schwägerin einen runden Geburtstag. Ich besuchte am Sonntag zuerst ihren Gottesdienst und staunte – der Pfarrer erinnerte mich an mein Erlebnis, allerdings mit neutestamentlichen Worten. Er sprach vom Zuspruch Gottes an Jesus (du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Freude). Er sprach uns Zuhörern zu, dass das auch für uns gelte und er schlug vor diesen Vers an den Spiegel zu schreiben und uns immer wieder daran zu erinnern: «du bist mein lieber Sohn».
In einer Zeitung sah ich mal das Bild von Pipa Middleton, die Bildunterschrift «Access Privilege to Buckingham Palace». Ich sehe darin ein schönes Gleichnis: Wenn Pipa am Königspalast auftaucht, dann werden die Tore für sie geöffnet, sie hat Zugang dank ihrer persönlichen Beziehung zu Kate, der Herzogin von Cambridge. Dieses Bild male ich mir immer wieder vor Augen und bin dankbar für meine Zugangs Privilegien zum Himmlischen Königshof. Dort gehe ich ein und aus, rede mit dem Gott der Himmel und Erde geschaffen hat, erlebe auch gelegentlich mal ein Wunder.
Zukunft
Vor meinen inneren Augen habe ich eine neue Lebens-Dimension und damit eine Freiheit erhalten, ein Leben das nicht endet nach 100 Jahren «…er wird Leben, selbst wenn er stirbt» sagte Jesus seinen Jüngern. So «wissenschaftlich unmöglich» Auferstehung auch ist – ich sehe vor mir die Raupe die als Schmetterling in eine neue Lebensdimension ersteht – und ich sehe die Eizelle, die in 9 Monaten zum Baby und in 20 Jahren zum erwachsenen Menschen wird. Wachstum, Knochen inklusive. Ich sehe das Weizenkorn in der Erde, das zur Ähre wird. Ich sehe die vergrabene Kartoffel, die nach wenigen Wochen in vielfachem Volumen so ‘lebendig aufersteht’ und ausgegraben wird. Ich sehe Millionen Wunder der Natur die mir dieses Eine klarmachen: es gibt eine riesengrosse Dimension weit über mein Verstehen hinaus. So ist auch meine Zukunftserwartung in der Bibel treffend beschrieben (Jes.35:8-10, hier gekürzt): «Eine Strasse wird es dort geben …sie ist für Gottes Volk bestimmt. Kein Löwe liegt am Wegrand auf der Lauer, auch andere Raubtiere gibt es dort nicht. … alle, die der Herr befreit hat werden jubelnd …zurückkehren. Dann sind Trauer und Sorge für immer vorbei, Glück und Frieden halten Einzug, und die Freude hört niemals auf»
Mit diesem Glauben stehe ich natürlich nicht allein, es ist eine Grundlage aller christlichen Kirchen weltweit mit Millionen von Glaubenden. Kürzlich hat mir eine liebe Freundin gesagt: «ich weiss, dass der, der versprochen hat mein Leben zu führen mich am Ende, ganz am Ende nach Hause führen wird».
Nachdenken
Vor einigen Jahren setzten sich Texte eines Hörspiels in meinem Kopf fest. Das Hörspiel hiess «Katharinenspital Zimmer 144». In einem Dialog macht sich dort ein Arzt aus wissenschaftlicher Sicht Gedanken zum Tod (und zur Auferstehung) und doziert (aus meiner Erinnerung): «Wenn es ein Leben gibt nach dem Tod, wenn nur die geringste Hoffnung darauf besteht, dann müssen wir uns vorsehen, dann müssen wir alles daran setzen…».
Dieser Überzeugung bin ich auch, sogar aus wissenschaftlicher Sicht macht dies Sinn, denn die Wissenschaft versteht sich nicht als abgeschlossen, sie sammelt Fakten, stellt Thesen (Behauptungen) auf mit dem Ziel, dass Andere daran arbeiten, weiterdenken, die These mit wissenschaftlichen Kriterien stützen oder widerlegen. Viele Wissenschaftler sind offen und akzeptieren einen Gott der über Allem, auch über wissenschaftlich Einordnungsbarem steht.
Mein persönlicher Glaube ist eine tiefe innere Beziehung, er ist Dankbarkeit gegenüber meinem Schöpfer und Erlöser. Er ist Freude und Hoffnung trotz und über jedem Problem. Mein Glaube ist nicht Religion im Sinne von vorgeschriebener, strukturierter Frömmigkeit, er ist entspanntes und ganz normales Leben in der Gewissheit, dass Gott mich am Ende, ganz am Ende nach Hause führen wird.